In der Wochenendbeilage der Berliner Zeitung nehmen mit Aelrun Goette, Thomas Jahn, Katja Hübner und Michelle Barthels vier Wegbegleiter Abschied von Frank Giering und erinnern in sensibler Weise an dem Menschen hinter dem Schauspieler. Ein mehr als lesenswerter Artikel!
So heißt es beispielsweise bei Aelrun Goette: »Wir wussten alle, dass er ein Grenzgänger war, ein Seiltänzer zwischen den Welten. Zum Leben erwacht vor der Kamera, die ihm seine Existenzberechtigung zu geben schien, die er selbst immer so sehr anzweifelte.« Schon während des gemeinsamen Studiums konnte Frank Giering positives Feedback nur schwer annehmen, zu gering war sein Glaube an sich selbst und sein Talent. »Wir haben zusammen studiert, an der Filmhochschule in Babelsberg, er Schauspiel, ich Regie. Da stand er immer rauchend im Flur, schüchtern lächelnd, und war schon damals so anders. Offen und ohne Haut. Während seine Studienkollegen ihre Ängste mit großen Gesten überspielten, schien er seine Schwächen vor sich her zu tragen. Immer ungläubig, wenn man begeistert von ihm war. Wie ein Kind, mit staunenden Augen, als könne er im Gesicht seines Gegenübers ein Stück vom eigenen Selbst erkennen. Als würde er nur durch den Anderen existieren. Und manchmal, einen kurzen Moment lang, da sprang der Funke über. Und er konnte es annehmen.« Damals hatte sie sich geschworen, kein Projekt ohne ihn zu realisieren. »Nicht nur, weil er einer der Besten war. Sondern weil er ein Freund war, mit der Seele eines Schmetterlings, nie wirklich greifbar und immer zu nah am Feuer. Ein Schmetterling, der in der einsamen Nacht zu vergehen drohte.Gleichzeitig war die Arbeit mit ihm immer ein Geschenk. Wie kaum ein Anderer hat er sich tief in seine Figuren hinein begeben, er wusste, wie sie gehen, wie sie essen, was ihnen Freude macht. Ich war begeistert, wie Frank mit seinen Figuren verschmolz, Grenzen verschwammen und plötzlich jemand vor mir stand, der eben nicht mehr nur Figur war, sondern Mensch. Und egal, wie abgründig seine Rolle war, man spürte die Seele dahinter. Weil Frank Menschen gespielt hat, keine Figuren.« Doch irgendwann hat sie verstanden, dass seine Kunst auch immer eine dunkle, fast selbstzerstörische Facette beinhaltete. Und das es umso wichtiger war, eine schützende Hand über ihn zu halten. »Ich erinnere mich an eine gemeinsame Fahrt nach einem Drehtag. Es war dunkel, es war warm, wir saßen erschöpft auf der Rückbank des Autos und fragten uns, wie man das eigentlich aushalten kann; das Leben. Da beschrieb er, was mit ihm passiert, wenn sich die Kamera auf ihn richtet: wie die Intensität steigt, je näher sie kommt. Bis ran an die Angst und darüber hinaus. Und dahinter fühlt er sich frei. Aber irgendwann geht die Kamera immer aus und das ist dann wie sterben. Da habe ich verstanden, dass es zusammengehört: seine Selbstzerstörung und die Kunst, die er in sich trägt. Das eine nicht ohne das andere. Und dass man deshalb immer ein bisschen die Hand über ihn halten muss, weil er sonst verbrennt. Ich habe es versucht. Aber es hat nicht gereicht.«
Thomas Jahn, der momentan die im Januar abgedrehten Kriminalisten Folgen im Studio nachbearbeitet, beschreibt mit Wehmut die Diskrepanz zwischen dem Menschen und dem Schauspieler Frank Giering: »Ich sehe Frank jeden Tag, auch jetzt noch. Ich stehe gerade im Tonstudio in Berlin und bearbeite die Folgen vom Kriminalisten, den wir im Januar zusammen gedreht haben. Es ist merkwürdig und wahnsinnig traurig und mir wird noch mal ganz deutlich, dass der Frank, den ich persönlich kannte, ein ganz anderer Mensch war als der, den er gespielt hat. Der Mensch, den er gespielt hat, hat Selbstvertrauen, ist witzig und clever und wortgewandt, all das, was Frank im Privatleben nie war. Am Set stand er in der Ecke wie ein neunjähriger Junge, total zerbrechlich, völlig schüchtern, so nach dem Motto, ich habe hier nichts zu suchen, ich bin hier nur zu Besuch und das alles ist mir total suspekt. Und dann stellte man die Kamera hin und machte eine Probe, und in dem Moment war er der Frank, den wir vom Film kennen, das ist Wahnsinn. Diese Traurigkeit in seinem Gesicht ging nicht weg, aber der Rest. Und ich sage mir jetzt manchmal, Mensch Frank, wenn du das gewesen wärst, was du vor der Kamera warst, wärst du heute vielleicht noch da.« Die Frage, ob man sich mehr hätte einmischen müssen, ob man Frank Giering dadurch hätte helfen können, bereiten ihm heute Schuldgefühle. »Aber jetzt mache ich mir Gedanken, ob ich mich nicht hätte mehr in sein Leben einmischen sollen. 2007, als wir das erste Mal zusammen gearbeitet haben, war er noch relativ pummelig und 2009 war er plötzlich spindeldürr. Und Anfang 2010 war er noch dünner. Hinter vorgehaltener Hand haben wir gesagt, dass da was nicht stimmt, auch wenn er immer gesagt hat, ich bin so froh, dass ich endlich dünn bin.« Doch trotzt aller Beschwichtungen macht sich das Team weiter Gedanken. »Wir haben im Januar gedreht, wir waren alle dickstens eingepackt, an einem Tag waren minus 17 Grad, und Frank stand da in seinem dünnen Jäckchen und seiner dünnen Hose, die flatterte schon, weil da nichts mehr drin war. Und wir sagten: ›Mensch, Frank, zieh dir was an‹, und er sagte, ›ach lass mal, es geht schon‹. Als wir dann drinnen waren, hörte das Zittern aber nicht auf, auch Teile seines Gesichts zitterten. Und wir wussten nicht, wie wir das abstellen sollten und woher das kam, ob das schon Teil der Angst war.Frank hatte Angst vor dem Leben da draußen. Angst vor dem Ganzen. Er hatte nie ein Selbstverständnis als Schauspieler. Wir leben ja in einer Welt, in der überhaupt nicht mehr gelobt wird. Alles hat so einen zynischen Unterton. Das war für jemanden wie Frank schwer zu ertragen. Die Presse, die er bekommen hat an dem Tag nach seinem Tod, dieses Lob, mit dem er überschüttet wurde, das hat ihm gefehlt.«