... zu Tode betrübt

Dieses Kompliment wird für Frank Giering aber vermutlich der einzige Lichtblick während der Berlinale 2004 gewesen sein. Die Filmvorstellung entwickelt sich schnell zur Katastrophe, die noch dadurch verstärkt wird, dass der Regisseur Romuald Karmakar in der anschließenden Pressekonferenz mit einem deutlich beleidigten Unterton zum Gegenangriff gegen die Kritiker startet und die Stimmung weiter aufheizt. Aufgrund seiner persönlichen Iden­tifikation mit dem Stück muss Frank Giering den Hohn und das Gelächter der Zuschauer als besonders demütigend und verletzend empfunden haben. Die Pressekonferenz lässt er sichtlich angeschlagen mit eingezogenem Kopf über sich ergehen. [1]

Später wird er gegenüber Christian Petzold zugeben, wie sehr ihn diese Anfeindungen getroffen haben. Petzold, der insgesamt viermal auf der Berlinale vertreten war, nimmt dieses Gespräch später zum Anlass, um die deutlich aggressivere Grundstimmung der Berlinale im Vergleich zu anderen, ausländischen Festivals zu beklagen: »Aber trotzdem, wenn Premiere ist, wird der Film in einen öffentlichen Raum gestoßen. Und dieser öffentliche Raum ist in Berlin vielleicht ein bisschen aggressiv, mikrosensibel. Ich habe mal mit dem Schauspieler Frank Giering gesprochen, kurz vor seinem Tod. Der hatte ja zweimal Filme im Wettbewerb der Berlinale als Schauspieler. Und zweimal wurde er so was von zerfetzt, das kann man sich kaum vorstellen. Das waren die Filme Baader und Die Nacht singt ihre Lieder. Und beide Male, sagte er: Ihn hätte das richtig kaputtgemacht. Man sitzt da oben in einer Pressekonferenz, die Journalisten haben den Film vorher gesehen, schon in der Pressevorführung sich lautstark pöbelnd gegen den Film gewehrt. Das ist hart, da durch zu gehen. Und so was kann uns natürlich hier in Berlin eher passieren als bei ausländischen Festivals. Da habe ich das noch nie erlebt. […] Da sind Höflichkeit und Respekt größer.« [2]

Als Konsequenz zieht Frank Giering sich mehr und mehr aus dem Filmgeschäft zurück und konzentriert sich in der Folge fast ausschließlich auf das Fernsehen. Auch weil er hofft, auf dem kleineren Bildschirm weniger angreifbar zu sein. [3] Die wenigen Ausflüge zurück auf die große Leinwand beschränken sich weitestgehend auf Debütfilme mit nur geringer Aussicht auf größeres mediales Interesse oder öffentliche Wahrnehmung. Ausnahme ist hier lediglich der österreichische Kinofilm Freigesprochen, der 2007 erfolgreich auf den Filmfestspielen in Locarno laufen wird, in Deutschland aber trotz guter Kritiken zu Unrecht nur wenig Beachtung findet.

Bei öffentlichen Veranstaltungen ist er fortan nur noch anzutreffen, wenn es um die Promotion von eigenen Projekten geht. Ansonsten zieht er sich fast vollkommen aus dem Rampenlicht zurück und widersetzt sich auch dem sonst üblichen Networking auf Festivals und Preisverleihungen. Fast trotzig gibt er an, dass er nicht davon ausgehe, dass Regisseure ihre Besetzungen auf Partys vergeben. [4] Die oberflächliche Aufgeregtheit solcher Gemeinschaften behagt ihm nicht. [5] Zudem hat ihm einmal ein Journalist gedroht: »›Wer mit uns den Fahrstuhl hochfährt, der fährt ihn auch mit uns runter‹. Da habe ich gesagt: Runterfahren will ich nicht – zumindest nicht öffentlich.« [6]

Die Hoffnung, Anerkennung durch einen Filmpreis zu erhalten, scheint er aufgegeben zu haben. In einem Nachruf des Stern ist zu lesen: »Er bekam nie einen Preis. Er war nicht der Typ für Preise. Er drängte sich nicht auf, er forderte nichts, er stand nicht in der Zeitung mit Auftritten bei Galas und gesellschaftlichen Ereignissen. Dabei hätte er gern mal einen bekommen. Schon allein um seinen Eltern mal von der Bühne Danke zu sagen.« [7] Stattdessen nutzt er in der Folge einige Fernsehinterviews, um Grüße an seine Lieben in Magdeburg zu senden und nimmt dafür auch den Spott mancher Moderatoren in Kauf. [8] Die beiden Nominierungen als bester Nebendarsteller (2001 für Gran Paradiso, 2004 für Der Mörder ist unter uns), bei denen er mit leeren Händen nach Hause gehen musste, haben Spuren hinterlassen.

Im gleichen Jahr zerbricht die Beziehung zu Angela Peltner.

»Ich würde mir wünschen,

einmal im Leben so richtig leidenschaftlich geliebt zu werden.«

 Alex in Der Himmel kann warten

Dieses Zitat aus Der Himmel kann warten trifft vermutlich auch auf die Privatperson Frank Giering zu. Sein Leben lang sehnt sich Frank Giering nach der einen, der ganz großen Liebe. Doch immer, wenn er hofft, sie gefunden zu haben, steht er sich mit seinen Ängsten und Komplexen selbst im Wege. So sehr er sich auch eine Beziehung, eine glückliche Partner­schaft wünscht, so wenig kann er diese in der Realität leben. Und so wird er weiterhin vor jeder Beziehung davonlaufen, wird sich jedes Mal erneut eher in seine Traumwelten zurückziehen als das Risiko einzugehen, verletzt, verlassen zu werden. Die Erfahrungen in seiner Jugend, in der er vergeblich um die Gunst seiner Mitschülerinnen gekämpft hat, haben deutliche Spuren in seinem Selbstwertgefühl hinterlassen. »Ich habe nie an die Qualitäten geglaubt, die ich habe, sondern nur an die, die mir fehlen. Und mich zurück­gezogen. In eine Art Traum. So wie ich mir früher erträumt habe, Schauspieler zu sein, erträume ich mir dann meine Beziehung.« [9]

Es fällt ihm schwer, auf Frauen zuzugehen. Neben seiner Schüchternheit ist es vor allem die Angst vor einer Abfuhr, die ihn davon abhält, den ersten Schritt zu wagen. Schon in seiner Jugend konnte er schwer damit umgehen, zu verlieren. »Ich kann schwer damit umgehen, einen Korb zu bekommen. Ich lasse lieber eine Möglichkeit verstreichen, bevor ich verliere. Beim Schachspielen im BSG Magdeburg hat mich dieser Ehrgeiz weit gebracht. Aber auch damals habe ich schon den König geworfen, wenn ich merkte, dass ich verliere.« [10]

Dabei ist er in anderen Lebensbereichen durchaus selbstbewusst. Doch seine Unsicherheit Frauen gegenüber wird ihn sein Leben lang begleiten. Selbst die späte Erkenntnis, dass sein Interesse erwidert worden wäre, kann ihm nicht die Scheu nehmen, jemanden einfach anzusprechen. »Ich bin geschickt, fühle mich aber oft ungeschickt. Egal, was ich im Leben mache, meistens bin ich mir sicher. Aber wenn ich was wirklich will, gerade in Bezug auf Frauen, da bin ich total unsicher und schüchtern. Irgendwann sagte mir dann die Frau, bei der ich mich nicht traute, sie anzusprechen: ›Was, du fandest mich toll? Du hättest es nur sagen müssen...‹« [11]

Den Rat von Bekannten, es einfach einmal zu versuchen, einfach einmal mehrere Frauen anzusprechen, bis eine reagiert, schlägt er aus. [12] Auch weil er davon überzeugt ist, bei den Frauen, die ihm gefallen, sowieso keine Chance zu haben. »Für mich ist eine Frau eher wie eine hippe Bar, wo nur tolle Menschen drinsitzen und ich mich nie reintraue. (...) Mein Typ Frau, auf den ich stehe, ist sicher nicht der Typ Frau, der auf mich steht.« [13]

Seine Traumfrau beschreibt er einmal mit den Attributen »attraktiv« und »gepflegt« [14] und setzt voller tragischer Selbstironie hinzu: »Ich habe da einen ganz komischen Geschmack. Dass sie sich die Fußnägel lackiert, wäre mir wichtiger, als dass sie täglich die Süddeutsche Zeitung liest. Das Blöde ist, dass solche Frauen eigentlich nicht auf mich stehen. Meine Obsessionen gehen in gewissen Dingen keinen Kontakt mit meinem Intellekt ein.« [15] Er vermutet, dass dieser Wunsch wieder aus seinem Komplex geboren ist, sich aufzuwerten. »Das reinste Eigentor, denn mit so einer Frau kommen ja wieder die Eifersuchtsattacken.« [16]

Sein Blick auf Frauen bleibt getrübt. In ihm ist die Überzeugung gewachsen, nicht dem gängigen Männerideal zu entsprechen, für Frauen generell nur zweite Wahl zu sein. Seine Minderwertigkeitskomplexe und seine fehlende Eigenliebe tun ihr Übriges, ihn in dieser Meinung zu bestärken. Er kann sich nicht vorstellen, es wert zu sein, geliebt zu werden. »Und dann kommt bei mir noch hinzu, dass mir ein wenig die Selbstliebe fehlt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man mich lieben kann. (...) Weil ich vom Kopf her völlig bescheuerte Maßstäbe habe. Ich hatte meine erste Freundin erst mit 24 Jahren. Davor war ich nur der liebe Kumpeltyp. Und alle Typen mit breitem Kreuz hatten die Frauen. Das hat sich bei mir als Wahrheit über die Wünsche der Frauen verankert. Frauen sagen zwar, dass sie mehr Hirn statt Muskeln bei Männern bevorzugen, aber ich glaube, damit wollen sie mich nur beruhigen.« [17]

Wenn ihn eine neue Liebe allen Widerständen zum Trotz doch zu finden vermag, fällt es ihm schwer, Vertrauen in die Beständigkeit dieser Beziehung zuzulassen. Auch weil er nicht daran glaubt, eine Frau auf Dauer für sich begeistern zu können. Zu langweilig erscheint ihm sein Naturell. »Unter anderem eben deshalb, weil ich lieber zu Hause bleibe. Die meisten Frauen finden das wahrscheinlich langweilig. So bin ich nun mal.« [18] Und so erscheinen seine Bemühungen, diese Liebe zu halten, zu festigen, fast manisch. Er lebt die Beziehung wie in einem Rausch, gönnt sich keinen Stillstand, immer in der Angst verfangen, seine Partnerin langweilen und verlieren zu können. »Ich bin zum Beispiel sehr aufmerksam. Meine Ex-Freundin musste sich nur etwas angucken, schon habe ich es für sie besorgt. Ich habe nie nur irgendeine SMS geschrieben, sondern immer alles poetisch verpackt. Ich wollte nie langweilig sein. Lieber eine Beziehung ein bisschen wie im Film leben. Denn da gibt es ja, sobald es nur annähernd langweilig wird, einen Schnitt.« [19]

Doch nach dem anfänglichen Hochgefühl und dem Taumel der Verliebtheit ziehen jedes Mal erneut auch schnell erste dunkle Wolken auf, die das neue Glück überschatten und die Beziehung zu belasten, zu vergiften drohen. Letztendlich erreicht Frank Giering immer wieder einen Punkt, an dem seine irrationale Angst, verlassen zu werden, übermächtig wird. Seine Selbstzweifel, seine diffusen Ängste vor dem Leben im Allgemeinen und der Zukunft im Besonderen drohen ihn innerlich zu zerfressen und schüren gleichzeitig eine rasende, fast verzweifelte Eifersucht. Auch wenn er zugibt, dass diese vor allem seiner überbordenden Fantasie geschuldet ist und keinerlei realen Ursprung hat. »Ja, das ist ganz komisch. Am Anfang finde ich das schön, wenn der Kellner sie anguckt, weil ich dann denke: ›Okay, ich habe eine hübsche Freundin.‹ Aber nach einem halben Jahr oder so, da überlege ich gar nicht, ob der Kellner sie jetzt anschaut, sondern ob sie auf den Blick des Kellners, den ich gar nicht gesehen habe, irgendwie reagiert. Und denke mir dann… ja, was geht jetzt in ihrer Phantasie vor? Findet sie diesen Kellner jetzt vielleicht toll und stellt sich vor, sich mit dem mal irgendwie zu verabreden? Oder hört sie mir jetzt in dem Moment zu, wenn ich rede? Oder denkt sie an den Kellner oder wie der vielleicht unter seinem weißen Hemd aussieht? (...) Da spielt die Phantasie mit mir verrückt.« [20]

In letzter Konsequenz zieht er sich jedes Mal zurück. Aus Angst, irgendwann alles Schöne kaputt zu machen und dabei vielleicht auch ein Stück weit sich selbst zu verlieren. »Je mehr ich mich geöffnet und hingegeben habe, desto mehr Angst habe ich, nicht nur die Person zu verlieren, sondern auch mich. Ich will nur noch mit der Frau alleine sein, niemanden anderen um mich herumhaben, der womöglich besser aussieht. Aus diesem Grund kann ich Beziehungen immer nur bis zu einem gewissen Punkt führen. Und dann kommt mein Standardspruch: ›Glaub‘ mir, es ist besser, wenn wir uns jetzt trennen, damit Du mir und ich Dir keinen Schaden zufügen kann.‹« [21]

Die Weisheit, dass man einen Menschen, den man liebt, ab und an loslassen muss, damit er freiwillig zu einem zurückkehrt, ist ihm in der Theorie zwar bekannt, umsetzen kann er diesen Rat aber dennoch nicht. »Das habe ich schon oft gehört. Diese Binsenweisheiten. Ich weiß das auch alles vom Kopf her. Wenn ich an Höhenangst leiden würde, dann könnte man eine Konfrontationstherapie machen. Aber bei so einer Beziehungskiste ist man abhängig vom Partner. Egal, ob ich mit meiner Freundin eine Paartherapie mache, die Gefahr, dass sie danach über die Straße geht und ihrem Traummann begegnet, bleibt doch immer.« [22]

Fast fühlt es sich an, als ob er eine perfide Befriedigung dabei verspürt, wenn sich seine irrationalen Ängste schließlich doch bewahrheiten und die Liebe am Ende zerbricht. Dabei scheint er bewusst die Tatsache auszublenden, dass er selbst es ist, der jede Beziehung von Neuem vorzeitig beendet, keiner Liebe je eine reelle Chance gibt, ihr jedes Mal den Todesstoß versetzt, bevor sie zu tiefgehen, er Gefahr laufen kann, über das Ertragbare hinaus verletzt zu werden. [23]

In den Monaten, nachdem die Beziehung zu Angela Peltner zerbrochen ist, wirkt Frank Giering wie gelähmt vor Trauer. Gleichzeitig ist er gezwungen, für die beiden ZDF Mehrteiler Die Kirschenkönigin und Die Rosenzüchterin, die fast zeitgleich im November 2004 ausgestrahlt werden, auf Promotion-Tour zu gehen. Seine Augen spiegeln in dieser Zeit sehr deutlich seinen Schmerz wieder, sein Lächeln wirkt angespannt und gequält. Nur mühsam kann er Haltung wahren, wenn Fragen sein Privatleben streifen, immer bohrender, indiskreter, persönlicher werden. Fast trotzig verfällt er in alte Verhaltensmuster zurück und versucht, seinen Schmerz und seine Verzweiflung hinter der vertrauten Rolle des Klassenclowns aus Schultagen zu verstecken. Doch mit jeder neuen Frage bekommt seine Schutzmauer neue Risse, brechen hinter der brüchigen, bröckelnden Fassade immer wieder seine wahren Gefühle, seine Trauer hindurch. Einmal versucht er dies mit dem lapidaren Satz »Ich bin leidenschaftlich, also leide ich« [24] herunterzuspielen, aber der Ernst in seinen Augen verrät ihn. [25]

Etwas später gibt er in einem Interview zu, dass er eigentlich immer auf der Suche nach etwas sei, was es gar nicht gäbe. Die Frage, was er denn suche, trifft ihn dann allerdings völlig unvorbereitet. Er wirkt einige Sekunden wie paralysiert, bevor er etwas mühsam »Das weiß ich selbst nicht« antwortet und mit brüchiger Stimme ergänzt »Es gibt schon schöne Dinge, aber man muss sie auch ertragen können.« [26]

In einem anderen Interview gibt er einen weiteren tiefen Einblick in sein Gefühlsleben: »Selbst wenn alles gut ist, träume ich mich in irgendwas hinein, dass es gar nicht gibt, sei es die bedingungslose Liebe oder die absolute Harmonie. Ich suche dann nach Dingen, von denen mein Kopf weiß, dass es sie nicht geben kann, aber mein Gefühl drängt mich immer wieder, sie zu wollen. Ich bin gerne der Schauspieler, der so etwas darstellt, aber im echten Leben kann ich daraus, was ich Ihnen eben erklärt habe, nicht viel lernen. (...) Ich denke, dass im Leben alles so kommt, wie es kommen soll und dass es jedem vorbestimmt ist. Insofern kann es auch sein, dass es diese Liebe auf den ersten Blick gibt: Man sieht jemanden und es knallt. Aber es kann genauso gut sein, dass man diese Liebe nicht leben kann, weil es zu schwierig ist oder weil man zu viel Angst hat, diese Liebe zu verlieren und dann lieber einsam und alleine lebt. Ich denke, es gibt so etwas, aber man muss nicht nur die Augen offenhalten, um es zu sehen, sondern man muss auch sehr stark sein, um es leben zu können. Und so stark wie die Figuren, die ich spiele, bin ich persönlich nicht, obwohl ich mir das wünschen würde. Ich bin zwar so stark in meinen Träumen, aber nicht in der Realität. (...) Ich habe eine große Liebe. Aber ich traue mich nicht, sie zu leben. Jetzt bin ich erstmal auf Abstand gegangen, aber werde wahrscheinlich sowieso nur alleine leben können, weil ich zu viel Angst habe, etwas zu verlieren, was ich mag. Deswegen schaffe ich mir am liebsten gar nichts an. Das war schon immer so.« [27]

Frank Giering und Anne Ratte-Polle in »Die Nacht singt ihre Lieder« / ©imago
Frank Giering und Anne Ratte-Polle in »Die Nacht singt ihre Lieder« / ©imago

In ihm keimt der Verdacht auf, dass er beziehungsunfähig ist und seine Selbstzweifel und die damit einhergehende Eifersucht jeder Partnerschaft im Wege stehen werden. »Ich habe (...) entschieden, lieber alleine zu leben als zu zweit. Aus Angst, in der Beziehung mal die zweite Geige zu spielen. Das ist zwar auch nicht schön, aber einfacher. Beziehungen sind etwas, was ich im Leben noch lernen muss.« [28]

Es gibt immer wieder Zeiten, in denen er seine gesamte Person in Frage stellt und sich nicht vorstellen kann, dass man jemanden wie ihn lieben kann. [29] »In den wirklich großen Dingen wie Beziehungen habe ich aber bisher immer versagt, mich selbst an einen Punkt gebracht, an den ich nie kommen wollte, und das muss ich jetzt tragen.« [30]

Trotzdem bleibt er innerlich weiterhin jede Sekunde auf der Suche. [31] Und hofft, dass die Richtige für ihn noch nicht dabei war, dass »die Prinzessin auf dem weißen Pferd, die mit mir in den Sonnenuntergang reitet« [32] noch kommen wird, dass sein Traum von ein bisschen Glück noch nicht ausgeträumt ist. [33] Aber die Furcht vor neuen Enttäuschungen, gepaart mit seiner Schüchternheit und der Angst vor Zurückweisung werden verhindern, dass er aktiv wird. So lässt er lieber weiterhin Möglichkeit um Möglichkeit verstreichen, als Gefahr zu laufen, eine Abfuhr zu erleiden. In den nächsten Jahren wird er sich wieder darauf beschränken, Beziehungen zu träumen statt sie zu erleben. [34]

Vielleicht spürt er aber auch die Gefahr, dass es ihn vernichten könnte, sich zu tief in eine Person, zu tief in einer Beziehung zu verlieren. Dass es ihm jeglichen Halt im Leben kosten könnte, er endgültig fallen und untergehen könnte, sollte diese eine Liebe jemals zerbrechen. So kann es reiner Selbstschutz gewesen sein und ein verzweifelter Versuch, die Kontrolle über sein Leben zu behalten, die ihn immer wieder die Reißleine haben ziehen und jede Beziehung zu einem bestimmten Punkt haben beenden lassen. Weil ihm die Zuversicht fehlte, es verdient zu haben, geliebt zu werden. Auch wenn die Konsequenz quälende Einsamkeit bedeutet.

Über seinen größten Wunsch hat er einmal gesagt: »Dass ich manchmal in gewissen Situationen mehr Mut hätte und nicht so skeptisch wäre. Das würde ich mir am Meisten wünschen. (...) Zum Beispiel eine Situation – wenn wir jetzt bei der Liebe bleiben – dass man im Prinzip eine Liebe hat, sich aber nicht traut, sie zu leben, aus Angst, dass man sie irgendwann verlieren könnte. (...) Und das klingt jetzt so groß, ist aber natürlich, wenn man es empfindet, noch viel größer. Und deswegen würde man sich natürlich wünschen, dass dem nicht so wäre. Das man da mehr – was gewisse Punkte betrifft – an der Oberfläche bleiben könnte und einfach mehr so ein Vertrauen ins Leben hätte.« [35]

Mit der Trauer über das erneute Scheitern einer Beziehung nimmt auch die Gefährdung durch den Alkohol wieder zu. Gerade die schönen Erinnerungen bergen dabei das höchste Gefahrenpotential, da ihm immer wieder vor Augen geführt wird, was er verloren hat. Neben der Trauer kommt dann die Scham hinzu, erneut versagt zu haben. Auch wenn die Rückfälle nicht mit den früheren Alkoholabstürzen vergleichbar sind, schmerzen sie doch umso mehr, jetzt, wo sie »verboten« sind. »Die Bedrohung [Anm.: durch den Alkohol] wird im Prinzip immer bleiben. Am Anfang habe ich mal gedacht, dass man einfach frei von diesem Zeug sein kann, dass man es wirklich nicht mehr braucht. Aber das ist natürlich auch abhängig davon, wie es einem im Leben so geht. Wenn man sein Leben geordnet hat, alles gut läuft, man in der Anfangsphase einer tollen Beziehung ist, man keine Ängste hat, wenn man gerade einen Job und genügend Geld hat, dann ist es leicht zu sagen: ›Ich will mich jetzt nicht betäuben, sondern ich will das jetzt wirklich ganz bewusst erleben.‹ Dann vergisst man aber, dass das Leben irgendwie immer wieder etwas parat hat, was einem dann ein bisschen umhaut. Und das sind dann teilweise auch nur Erinnerungen, die ich jetzt gar nicht bewusst hervorhole, indem ich mich in irgendetwas hineindenke. Manchmal reicht es auch, ein bestimmtes Parfum zu riechen oder eine Musik zu hören, und sofort verhaftet man in der Vergangenheit. Das ist wie eine Zeitreise: man ist sofort wieder in der Vergangenheit, egal ob die jetzt schön war oder nicht – meistens verdrängt man ja die unschönen Sachen und es bleiben die schönen Sachen. Und dann kommt das Bewusstsein, dass das Schöne aber unwiderruflich zu Ende ist. Und das tut dann umso mehr weh.« [36] Und dann kommen wieder Abstürze. »Wenn man es jetzt mal von der Quantität her betrachtet, ist die Menge, die man bei einem Rückfall trinkt, nachdem es ›verboten‹ ist, weil man ja eine Therapie gemacht hat, nicht mit dem vergleichbar, was ich früher getrunken habe, als es, sage ich mal, noch ›erlaubt‹ war. Heute reicht manchmal schon eine Flasche Wein. Man hat ja auch überhaupt keine Toleranz mehr und ist dann sehr schnell betrunken… und depressiv. Man hat Angst, wieder versagt zu haben… wenn es dann so einen Rückfall gibt, ist er umso schlimmer als zu der Zeit, bevor ich eine Therapie gemacht habe.« [37]

Das Gefühl von echter Heimat wird ihm weiterhin fremd bleiben. »Für mich ist das ein Gefühl, wenn ich frei von Angst bin und es mir gut geht. Zum Beispiel jetzt, wenn der Herbst anfängt. Alles riecht so gut, ich liebe die Kälte, bin auch im Winter geboren. In dieser Zeit kann man sich schön warm anziehen, man kann nachts gut schlafen und alles duftet. Man kauft die ersten Weihnachtsgeschenke. Wenn ich so etwas empfinde und keine Angst habe, irgendetwas zu verlieren, habe ich das Gefühl von Heimat.« [38]

Auf die Frage, wer sein Leben am Meisten beeinflusst, antwortet er in einer Talkshow einmal schlicht mit dem Wort »ich«. Auf Nachfrage führt er aus, dass man sein Leben ja immer selbst beeinflusse. »Das heißt ja nicht, dass man es immer zum Guten beeinflusst. Man beeinflusst es ja auch manchmal zum Schlechten. Man geht ja manchmal zielsicher wie ein Projektil, das gegen sich selbst gerichtet ist, einen Weg, von dem man weiß, er ist nicht gut und man geht ihn trotzdem.« [39] Die Frage, wen er um Rat fragt, wenn er nicht mehr weiterweiß, in welche Richtung er gehen soll, kann er nicht beantworten. Sein Blick wirkt in diesem Moment seltsam leer und verloren. [40]


[1]     Pressekonferenz Die Nacht singt ihre Lieder, Berlinale 2004 vom 11.02.2004 und Spaich, Herbert: Zum Tod von Frank Giering, in: http://www.swr. de/blog/filmspaicher/2010/06/27/zum-tod-von-frank-giering/, abgerufen am 28.08.2012.

[2]     Lueken, Verena und Körte, Peter: Lampenfieber? Das geht nicht weg, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 15.02.2018, S. 12.

[3]     Kriest, Ulrich: Frank Giering, in: Film Dienst, Heft 15/2010, S. 18 und Bales, Robert: Das Zerbrechen des Menschen: Frank Giering, in: Beitrag Radiosendung »Neugier genügt«, Erstausstrahlung 02.08.2010, WDR5.

[4]     Porträt und Interview Frank Giering, in: Berlinale Studio, Erstausstrahlung 09.02.2006, RBB.

[5]     Hübner, Katja et al: Absturz eines Seiltänzers, in: Berliner Zeitung vom 03.07.2010.

[6]     Wulf, Steffen: Interview mit Frank Giering – Mit 24 Jahren habe ich mich das erste Mal richtig verliebt..., in: http://cinedat.org/interviews/interview_mit_frank_giering, abgerufen am 28.08.2012.

[7]     Hunfeld, Frauke: Zu ängstlich fürs Leben, in: Der Stern, Heft 29/2010, S. 63.

[8]     Z. B. Interview Frank Giering, in: Volle Kanne, Erstausstrahlung 20.02.2003, ZDF und Interview Frank Giering, in: Thadeusz, Erstausstrahlung 09.03.2010, RBB.

[9]     Luxat, Stefanie: Auf einen Drink mit Frank Giering, in: Maxi, Heft 1/2007, S. 149.

[10]     Jüttner, Julia: Menschenscheu und schüchtern, in: http://www.spiegel.de/panorama/leute/0,1518,678863,00.html vom 22.02.2010, abgerufen am 28.08.2012.

[11]    Wulf, Steffen: Interview mit Frank Giering – Mit 24 Jahren habe ich mich das erste Mal richtig verliebt..., in: http://cinedat.org/interviews/interview_mit_frank_giering, abgerufen am 28.08.2012.

[12]    Schneider, Sabine: Mit dem stimmt was nicht, in: Berliner Zeitung vom 17.11.2008.

[13]    Luxat, Stefanie: Auf einen Drink mit Frank Giering, in: Maxi, Heft 1/2007, S. 149.

[14]    Luxat, Stefanie: Auf einen Drink mit Frank Giering, in: Maxi, Heft 1/2007, S. 149.

[15]    Interview Rubrik »Das rote Sofa«: Ich weiß nicht, wie man einen Computer anmacht, in: Super TV, Heft 40/2007, S. 130.

[16]    Luxat, Stefanie: Auf einen Drink mit Frank Giering, in: Maxi, Heft 1/2007, S. 149.

[17]    Luxat, Stefanie: Auf einen Drink mit Frank Giering, in: Maxi, Heft 1/2007, S. 149.

[18]    Hildebrandt, Antje: Nesthocker und Melancholiker, in: Märkische Allgemeine vom 2.12.2006.

[19]    Luxat, Stefanie: Auf einen Drink mit Frank Giering, in: Maxi, Heft 1/2007, S. 149.

[20]    Interview Frank Giering, in: Thadeusz, Erstausstrahlung 09.03.2010, RBB.

[21]    Hellmers, Sara: Hausbesuch Frank Giering, in: Blond, Heft 2/2004, S. 54.

[22]    Luxat, Stefanie: Auf einen Drink mit Frank Giering, in: Maxi, Heft 1/2007, S. 149.

[23]    Hellmers, Sara: Hausbesuch Frank Giering, in: Blond, Heft 2/2004, S. 54.

[24]    Interview Frank Giering, in: Hier ab vier, Erstausstrahlung 16.12.2004, MDR.

[25]    Z.B. Interview Frank Giering, in: ZIBB, Erstausstrahlung 05.11.2004, RBB und Interview Frank Giering, in: Riverboat, Erstausstrahlung 29.10.2004, MDR und Interview Frank Giering, in: Hier ab vier, Erstausstrahlung 16.12.2004, MDR.

[26]    Interview Frank Giering, in: ZIBB, Erstausstrahlung 05.11.2004, RBB.

[27]    Wolff, Susanne: Der Träumer, in: http://www.viva.de/film.php?op=tv&what= show&Artikel_ID=49279, abgerufen am 28.08.2012.

[28]    Interview Rubrik »Das rote Sofa«: Ich weiß nicht, wie man einen Computer anmacht, in: Super TV, Heft 40/2007, S. 130.

[29]    Luxat, Stefanie: Auf einen Drink mit Frank Giering, in: Maxi, Heft 1/2007, S. 149 und Interview Rubrik »Das rote Sofa«: Ich weiß nicht, wie man einen Computer anmacht, in: Super TV, Heft 40/2007, S. 130.

[30]    Wolff, Susanne: Der Träumer, in: http://www.viva.de/film.php?op=tv&what= show&Artikel_ID=49279, abgerufen am 28.08.2012.

[31]    Interview Rubrik »Das rote Sofa«: Ich weiß nicht, wie man einen Computer anmacht, in: Super TV, Heft 40/2007, S. 130.

[32]    Luxat, Stefanie: Auf einen Drink mit Frank Giering, in: Maxi, Heft 1/2007, S. 149.

[33]    Jüttner, Julia: Menschenscheu und schüchtern, in: http://www.spiegel.de/panorama/leute/0,1518,678863,00.html vom 22.02.2010, abgerufen am 28.08.2012.

[34]    Hübner, Katja: Der Sentimentale, in: Der Tagesspiegel vom 24.02.2010.

[35]    Interview Frank Giering, in: Hier ab vier, Erstausstrahlung 16.12.2004, MDR.

[36]    Interview Frank Giering, in: Nachtcafé, Thema: Schatten der Vergangenheit, Erstausstrahlung 11.03.2005, SWR.

[37]    Interview Frank Giering, in: Nachtcafé, Thema: Schatten der Vergangenheit, Erstausstrahlung 11.03.2005, SWR.

[38]    Wolff, Susanne: Der Träumer, in: http://www.viva.de/film.php?op=tv&what= show&Artikel_ID=49279, abgerufen am 28.08.2012.

[39]    Interview Frank Giering, in: Riverboat, Erstausstrahlung 29.10.2004, MDR.

[40]    Interview Frank Giering, in: Riverboat, Erstausstrahlung 29.10.2004, MDR.